Berlin, Hauptstadt der DDR und Tharandt Juli/August 1989. Ein Tagebuch / A diary


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Memories of July/August 1989, GDR
Memories of July/August 1989, GDR

This blog is in German followed by English, and is intended as a resource for those learning about the history of the former GDR. It does not claim to be an accurate account of events in the summer of 1989: it is simply an authentic extract of some moments recorded in a personal diary kept at the time. I hope you enjoy reading it!

(Dr Helen Jones, Senior Teaching Associate, German, Lancaster University)

2022. Ich denke an meine Zeit zurück, als ich 1989 am FDJ-Studentensommer teilgenommen habe: „8100 Studenten hantieren in der Hauptstadt mit Maurerkelle und Spaten“ steht in der Ostberliner BZ, 17. Juli 1989. Wir waren eine Gruppe von 20 Studierenden. Ich schrieb damals meine Doktorarbeit. Zwei Wochen sozialistische Bauarbeit in Berlin, eine Woche in Tharandt in der Nähe von Dresden. Ich nehme mein Tagebuch in die Hand. Was habe ich damals geschrieben?

Januar 2001. Tagung in Bangor, Wales. Ich erfahre, dass U., ein Gruppenleiter aus der Zeit, Stasioffizier war. Ein Vermerk oben auf der ersten Seite des Tagebuches 1989. Mehr habe ich nicht. Er hat mir im Sommer 1989 geholfen, mir ein Buch besorgt, als ich an einem Abend für eine FDJ-Debatte übersetzte. Als wir uns im August 1989 von den anderen Gruppenleitern am Grenzübergang Friedrichstrasse verabschiedet haben, kam er nicht.

16 Juli 1989. Wir kommen an! Wir wohnen zwei Wochen auf dem zentralen Interlager „Ernst Thälmann“ der FDJ-Studentenbrigaden. Wir werden aufgeteilt. Ich gehöre zur Brigade der Groβbaustelle Otto-Grotewohl Straβe in der Stadtmitte. Früheres Gelände des Hitler-Bunkers und direkt an der Mauer in der Nähe vom Brandenburger Tor. Jeden Tag stehen wir um 4.30 Uhr auf! Die Arbeit: 6 Uhr bis 15.30 Uhr täglich, wir gingen oft am Ende der Schicht um 14 Uhr. Wir graben das Baugelände aus, finden noch Bruchstücke vom alten Bunker. Wir müssen achtgeben: Es gibt noch Munition aus dem zweiten Weltkrieg. Einmal glaube ich, eine Bombe zu finden, es ist aber der Kabelanschluss der russischen Botschaft nebenan.

Wir sprechen mit A., dem Bauleiter. Er ist unzufrieden, er will in den Ruhestand gehen und dann sofort in den Westen übersiedeln. Alle glauben, die DDR bleibt. In Wirklichkeit sind es nur noch 4 Monate bis zum Mauerfall.

Wir arbeiten mit Bausoldaten, das sind Männer, die im Wehrdienst sind und verweigert haben, eine Waffe in die Hand zu nehmen. In den zwei Wochen arbeiten wir mit ihnen, tauschen Adressen, unterhalten uns.

20. Juli. Debatte mit DDR-Journalisten. Thema: Proteste am Platz des Himmlischen Friedens, China. Wer sind noch die sozialistischen Verbündeten der DDR, frage ich. Die Sowjetunion und Polen, Ungarn nicht mehr, ist die Antwort.

21 Juli. Wir dürfen ins Niemandsland und zum Brandenburger Tor. Komisches Gefühl, so durch die Sperre gehen zu dürfen, während Berliner auf beiden Seiten ausgesperrt sind. Ein Dolmetscher, der U. kennt, begleitet uns. Wir sprechen im Niemandsland mit Grenzsoldaten. Sie wollen uns klar machen, dass die Mauer eine Schutzmauer gegen den Faschismus ist. In den Räumen im Tor sehen wir Bilder von Grenzsoldaten als Opfer, von britischen Panzern in der Nähe der Mauer. Die Soldaten sprechen von Provokationen, von Rockkonzerten, die in Ostberlin hörbar sind. Künstler singen, dass die Mauer weg sein soll. Wir hören Zahlen von getöteten Soldaten, von anderen Opfern keine Rede.

Am Abend eine Disko im Neubauviertel Marzahn. Später bringt U. mich in seinem Auto zurück ins Lager. Die Volkspolizei hält ihn an. Er bekommt eine 10-Mark Strafe, weil er in der falschen Richtung auf einer Einbahnstraβe gefahren ist. Fremde fahren oft falsch in Marzahn, meint er. Er darf weiterfahren. Ich habe noch in Erinnerung: Er zeigt den Polizisten seinen Ausweis. Ich sitze hinten im Auto, kann nicht hören, was sie sagen.

22 Juli. Ich werde von einem ostdeutschen Studenten eingeladen, ihn in die Kirche zu begleiten. Ich habe aber eine Einladung, eine Familie in Marzahn zu besuchen, und kann nicht. Es scheint ihm wohl wichtig zu sein. Es tat mir damals leid. Es war an einem Samstag. Erst im Winter wird es mir klar: Die Kirchen. Die ersten Proteste. Deshalb war er vorsichtig, als er mich beiseite nahm, um mich zu fragen.

25. Juli. Nach einer Schicht auf der Baustelle habe ich ein nettes Gespräch mit Bibliothekaren der Staatsbibliothek. Ich besuche sie in den zwei Wochen regelmäβig. Diesmal sitze ich mit ihnen in einem Büro und trinke Kaffee. Sie sind überrascht, dass Briten und Amerikaner an der FDJ-Sommerinitiative teilnehmen. Unsere Anwesenheit in der Stadt steht nicht in den Zeitungen.

Am Abend ist etwas in dem Lager los. Mehrere Leute in FDJ-Uniformen. Ein Mann neben einem Auto mit Funkgerät. Wir wissen, dass er von der Staatssicherheit ist.

29. Juli. Wir fahren nach Tharandt in der Nähe von Dresden. Wir wohnen in der Jugendherberge. In der Woche machen wir mehrere Ausflüge: Meissen, Albertinum (Dresden), Königstein, Freiberg. In Dresden fällt es mir beim Einkauf auf, dass öfter in den Schaufenstern ein Schild steht ‚wegen Urlaub geschlossen‘ mit Daten. Aber die Daten sind verstrichen. Warum sind sie noch geschlossen, frage ich mich. Im September verstehe ich erst, warum. Sie haben in Ungarn Urlaub gemacht und sind geblieben, um über die Grenze nach Österreich zu entkommen.

3. August. Mit der Schmalspurbahn von Heinsburg nach Malter (Dippoldiswalde). Dort leihen wir Ruderboote und spielen auf dem Wasser Piraten. Manche schwimmen nackt im Wasser, in der DDR ganz üblich. Dafür war ich damals zu schüchtern.

6. August. Wir kehren nach Berlin zurück. Ich gehe auf der Straβe Unter den Linden spazieren und alles sieht wie in den 20er Jahren aus: Menschen, Busse, Autos. Dort dreht die DEFA (Deutsche Film-Aktiengesellschaft) einen Film über Albert Einstein! Um 23Uhr verabschieden wir uns an den Grenzübergang Friedrichsstraβe von den Gruppenleitern Bernd, Heike und ihrer Freundin Mila – Tränen beim Abschied.

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2022. I think back to the time when I took part in the 1989 FDJ (Free German Youth) Student Summer: “8100 students get to work with trowels and spades” the East German BZ newspaper reports, 17th July 1989. We were a group of 20 students. At the time I was writing my Ph.D. Two weeks of socialist construction work in Berlin, one week in Tharandt in the vicinity of Dresden. I pick up my diary. What did I write at the time?

January 2001. Conference in Bangor, Wales. I learn that U., a group leader on that trip, was a Stasi officer. A note at the top of the first page of my 1989 diary. I don’t have any more than that. He helped me in the summer of 1989, got me a book as a gift for translating at an FDJ evening debate. When we said our farewells from the other group leaders in August at the Berlin Friedrichstraβe checkpoint, he wasn’t there.

16 July 1989. We arrive! We spend two weeks on the FDJ camp „Ernst Thälmann” der FDJ-Studentenbrigaden. We are allocated our Brigade (GDR labour brigade): mine is the unit sent to Groβbaustelle Otto-Grotewohl Straβe in city centre. Former site of the Hitler bunker and right next to the Berlin Wall near the Brandenburg Gate. Each day we get up at 4.30 a.m! Daily working hours: 6 a.m. until 3.30 p.m. but we often leave at the end of the 2 p.m. shift. Our task: digging the site. We keep finding fragments from the old bunker. We have to watch out: there is still ammunition from the second world war. Once I think I have found a bomb, but it is the telecoms cable hub for the Russian Embassy nearby.

We chat to A., the foreman. He is dissatisfied: he wants to retire and then move over to the West immediately. Everyone still believes that the GDR will remain in existence. In actuality there are only another 4 months until the collapse of the Wall.

We work with Bausoldaten (lit. construction soldiers): conscientious objectors completing their conscription in the army. In the two weeks we work together with them, exchange addresses, chat.

20 July. Debate with GDR journalists. Theme: Protests in Tiananmen Square, China. Who remain the socialist allies, I ask. The Soviet Union and Poland, no longer Hungary, is the answer.

21 July. We are permitted to enter No Man’s Land and the Brandenburg Gate. A strange feeling to go through the barrier, just like that, while Berlin residents on either side cannot. An interpreter, whom U. knows and has brought along, accompanies us. We talk to the border guards in No Man’s Land. They want to make it clear to us that the Wall is an anti-fascist protection wall. In the rooms within the Gate we see images of border guards as victims, of British tanks near the Wall. The soldiers talk of provocations, of rock concerts that can be heard in East Berlin. Artists singing that the Wall should be torn down. We hear about the numbers of soldiers who have died in duty, of other victims nothing.

In the evening a disco in Marzahn, a new housing estate. Later U. takes me back to camp in his car. The police (Volkspolizei) stop him. He gets a 10-Mark fine because he has driven the wrong way down a one-way street. Strangers often drive the wrong way in Marzahn, he says. He is allowed to proceed. What I still recall: U. showing his ID to the police. I am sitting in the back of the car. I cannot hear what they say.

22 July. I am invited by an East German student to go to church with him. But I have an invitation to visit a family in Marzahn and so have to decline. It seems important to him. I felt sorry at the time. It was a Saturday. Only in the winter did the significance of the invitation become clear to me: the churches. The first protests. That was why he was so cautious when he took me to one side.

25 July. After a shift on the building site I have a nice chat with the librarians in the State Library. I visit them regularly during the two weeks. This time I am sitting with them in an office and drinking coffee. They are surprised that Brits and Americans are taking part in the FDJ-Sommerinitiative. Our presence in the city is not in the newspapers.

In the evening on camp there is something going on. Numerous people in FDJ uniforms. A man next to a car with a radio. We know that he is from the Stasi.

29 July. We take the train to Tharandt, near Dresden. We live in the youth hostel for the week and go on several excursions: Meissen, the Albertinum (Dresden), Königstein, Freiberg. In Dresden, I frequently notice shop windows with signs saying ‘closed for the holidays’ with a date. But the dates have already lapsed. Why are they still closed, I ask myself. Only in September do I make sense of this. These people had gone on holiday to Hungary, only to stay to find means to get over the border to Austria.

3 August. A day trip on the narrow-gauge railway Heinsburg to Malter (Dippoldiswalde). There we hire boats and play pirates on the water. Some go swimming naked, which was quite typical in the GDR. In those days I was too shy to join them.

6 August. We return to Berlin. I go for a walk on Unter den Linden boulevard and everything looks just like in the 1920s: people, buses, cars. The GDR film company DEFA is making a film about Albert Einstein! At 11 p.m we say goodbye to group leaders Bernd, Heike and her friend Mila at the Friedrichsstraβe border crossing– we shed tears on departure.


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